Holy Rage: Warum Liliths Wut in Terror at the Gates keine Sünde ist


"Für die Frauen, denen man erzählt hat, sie müssten sich der Vorherrschaft des Mannes unterwerfen."

Meine Bookie-Schwächen sind aufwändige Farbschnitte, Romantasy & Forbidden Love in Kombination mit Forced Proximity. Monatlich lese ich irgendwas zwischen 5 und 5.000 Seiten.
Was mich an Terror at the Gates besonders überrascht hat, ist, wie vielseitig die Geschichte ist. Liliths Wut und ihr Widerstand sind ein Teil davon, aber daneben spielen auch der Konflikt zwischen den fünf Stadtteilen, die Rolle der Kirche, gefährliche Artefakte, mysteriöse Zusammenhänge und ein stetiges Rätsel um einen ominösen Dolch eine große Rolle. Liliths Welt wird auf den Kopf gestellt, sie sieht Visionen und Intrigen, und findet sich in einer Anziehung wieder, die sich langsam auflädt und irgendwann nicht mehr zu ignorieren ist. Jeder, der ein Herz für Urban Fantasy und Mythen hat, sollte dieses Buch lesen!
Diese Woche ist es soweit: Terror at the Gates erscheint bei uns! Ein Titel, auf den ich mich schon lange gefreut habe, und dank der frühen Lieferung in den Verlag konnte ich ihn auch bereits innerhalb von drei Tagen durchlesen. Je weiter ich kam, desto mehr hat mich das Buch zum Nachdenken gebracht. Über weibliche Wut, über Macht und über all die kleinen und großen Regeln, die Frauen in dieser Welt beschrieben werden, und wie vertraut sich das manchmal anfühlt, auch wenn die Geschichte in einer Fantasy-Welt spielt. Kommen wir aber zunächst zum Setting!
Terror at the Gates spielt in einer Welt, die auf den ersten Blick modern wirkt, aber tief von religiösen Strukturen geprägt ist. Eden besteht aus fünf Stadtteilen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Hiram, Temple City, Galant, Akkadia und Nineveh. Jeder dieser Orte hat seine eigene soziale Ordnung, eigene Regeln und einen eigenen Umgang mit Moral und Sünde. Besonders Nineveh fällt heraus, denn es ist der Stadtteil der Sünde und der Geheimnisse. Genau dort bewegt sich Lilith, die Protagonistin, die trotz ihrer Herkunft in Hiram längst keinen Platz mehr in den Erwartungen ihrer Familie findet.
Magie spielt in Eden eine zentrale Rolle, aber sie unterliegt einer strengen Hierarchie. Die Fähigkeit entsteht im Blut der Elohai – eine Blutlinie, die den fünf herrschenden Familien Macht verleiht. Doch obwohl die Magie durch Frauen fließt, haben Männer die Kontrolle darüber. Frauen dürfen ihre Kräfte nicht frei einsetzen, sondern stehen unter der Aufsicht der Kirche oder der Männer ihres Hauses. Dieser Widerspruch bildet einen großen Teil des inneren Konflikts der Geschichte. Die Welt erkennt die Stärke der Frauen an, fürchtet sie aber gleichzeitig und begründet diese Furcht mit göttlicher Ordnung.
Aufgewachsen in einer wohlhabenden Familie in Hiram, wurde Lilith darauf vorbereitet, eines Tages verheiratet zu werden. Ihre Magie sollte gebunden und kontrolliert werden. Doch Lilith entscheidet sich dagegen und flieht nach Nineveh. Dort nutzt sie ihre Fähigkeiten, um zu überleben, auch wenn das bedeutet, gegen Regeln zu verstoßen, die nicht in ihrem Sinne geschaffen wurden. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Welt ist die Rolle der fünf Familien, die jeweils ihren Stadtteil kontrollieren. Sie halten Macht über Menschen, Wirtschaft und religiöse Lehre.
Schon der Name der Protagonistin ist kein Zufall. Lilith, die Figur aus Legende und Bibelüberlieferung, ist seit Jahrhunderten das Symbol der „ungezähmten Frau“. In alten Erzählungen ist sie die, die nicht gehorchen wollte. Die nicht „unter“ Adam lag und flüchtete, statt sich anzupassen. In vielen Überlieferungen wird sie deshalb als Dämon dargestellt. Scarlett St. Clair nimmt dieses Bild und dreht es einmal komplett um. Lilith in Terror at the Gates ist nicht dämonisch und nicht sündiger als die Männer in dieser Welt. Sie erkennt, wie widersprüchlich sie behandelt wird, und lässt sich nicht in eine Rolle quetschen, die ihr nicht entspricht.
Ein wichtiger Ankerpunkt in Liliths Leben ist Zahariev, das Oberhaupt von Nineveh. Er ist weder Liliths Verbündeter, noch ihr Gegenspieler. Ihm wurde aufgetragen, Lilith zu beschützen. Allerdings ist sie auf romantischer Ebene für ihn tabu... Je mehr Zeit Lilith und Zahariev miteinander verbringen, desto schwieriger wird es jedoch für beide, an dieser Regel festzuhalten. Zahariev respektiert Lilith, sogar dann, wenn sie ihn herausfordert und seine Gesetze bricht. Er versucht weder, sie unterzuordnen, noch, ihr Verhalten zu korrigieren. Er zwingt ihr keine Sichtweise auf und kommentiert ihre Entscheidungen nicht mit Überlegenheit. Er erkennt, dass Lilith ihren eigenen Weg geht und lässt sie das auch. Dieser Umgang schafft Raum für Vertrauen, ohne dass die beiden ihre Unabhängigkeit verlieren. Lilith muss sich in seiner Gegenwart nicht verstellen. Sie muss sich nicht klein machen und auch nicht anpassen. Und Zahariev verliert nichts, wenn sie stark ist. Beide existieren nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu überschatten.
Literatur hat viele Möglichkeiten, Beziehungen zu zeigen. Was Terror at the Gates hier so gut gelingt, ist die Darstellung eines männlichen Charakters, der einer starken Protagonistin Raum gibt, ohne seine eigene Wirkung zu verlieren. Zahariev steht nicht im Schatten von Lilith, aber er nimmt ihr auch keinen Platz weg. Er bringt Stabilität in Liliths chaotische Welt, und Lilith bringt Bewegung in seine. Ich habe alles an der Dynamik zwischen den beiden geliebt und daran, wie sie Probleme gemeinsam angegangen sind!